Zwischen Space und Place – Auf der Suche nach einem gemeinsamen Territorium | Reflexionen über das Verhältnis von Politikwissenschaft und Geographie

Verbindendes und Trennendes von Geographie und Politikwissenschaft

Verbindendes und Trennendes von Geographie und Politikwissenschaft

Dass hierzu eigentlich ohnehin kein Anlass bestünde, zeigt der Blick auf die wissenschaftliche wie politikbezogene Praxis beider Disziplinen. Ein erstes Indiz hierfür liefert die Wiederbelebung der Geopolitik auf dem Gebiet der (Politischen) Geographie, die als geographisches Analyseinstrument – anders als in der Politikwissenschaft und insbesondere der (außen-)politischen Praxis – aufgrund ihres historischen Erbes weitgehend verschwunden war. Doch hat die nach dem Ende des Kalten Krieges in neuem und sogar komplexerem Gewand auferstandene Mächterivalität und die daraus resultierende Suche nach Mechanismen, diese einzuhegen, zu einer Wiederbelebung geopolitischen Denkens etwa in Form der Schaffung eines neuen globalen Gleichgewichts der Mächte geführt. Unter Einbindung der das internationale Geschehen in einem immer höheren Maße beeinflussenden Wirtschaft wurde die Geopolitik zugleich um das Konzept der Geoökonomie bereichert, welches etwa ökonomisch basierte Instrumente territorialer (Fremd-) Herrschaft analysiert (etwa Agnew/Corbridge 1995; Taylor 1996). Auf der Ebene der Politikpraxis trug ferner der Aufstieg des politischen Neokonservatismus und in diesem Zuge der pro-militärischen Lobby in den USA dazu bei, (geo-) strategisches Denken wieder stärker in den Fokus außen- und sicherheitspolitischen Handelns zu rücken (Taylor/Flint 2000: 51). Zum Teil, aber keineswegs ausschließlich, vor diesem Hintergrund lassen sich auch Bewegungen auf dem Gebiet der akademischen geographischen Geopolitik ausmachen. So kam es einerseits zur längst überfälligen Auseinandersetzung mit dem Missbrauch des an sich hilfreichen Analysekonzepts (etwa Smith 1984; Heske 1986; Bassin 1987; Sandner 1989) und andererseits zur Herausbildung einer Schule der Kritischen Geopolitik, die sich der grundsätzlichen Überwindung strukturalistischen Denkens in der Disziplin verpflichtet fühlt. Aus dieser Perspektive heraus wird sich der zentrale Konflikt bei der Schaffung beziehungsweise Ausgestaltung neuer Weltordnungsvorstellungen als Kampf darüber erweisen, wie geographische Räume repräsentiert werden. Mit anderen Worten ausgedrückt geht es um die Hoheit über die Erschaffung geopolitischer Codes. Der kritischen Geopolitik, die damit im Gleichschritt, aber eben zumeist parallel und nicht vereint, mit den Kritischen Studien der Politikwissenschaft und insbesondere ihren Subdisziplinen Internationale Beziehungen und Sicherheitsstudien marschiert, geht es darum, die impliziten und expliziten Bedeutungen, welche Plätzen gegeben werden, um (geo-)politisches Handeln zu legitimieren, aufzudecken und zu erklären. Sehr deutlich lässt sich dieser Sachverhalt an den Legitimationsversuchen der Befürworter und Gegner eines US-amerikanischen Kriegseinsatzes in Bosnien in den frühen 1990er Jahren aufzeigen, welche explizit auf politische wie geographische Aspekte rekurrierten. Gezielt wurde von der Bush-Regierung, welche seinerzeit einem Eingreifen der USA ablehnend gegenüber stand, die Analogie zu Vietnam bemüht. Mit eindringlichen naturräumlich-geographischen Bildern wurde Bosnien als ein mit Vietnam vergleichbarer Sumpf verglichen. Unter Anspielungen auf eine dem Prinzip nach analoge naturräumliche Beschaffenheit wurden die potenziellen Gefahren für die US-Truppen untermauert. Zugleich verwies die Politische Geographie aber auch auf die im Diskurs erkennbaren politisch-historischen Analogien, denen zufolge die Situation in Bosnien einen Holocaust darstelle, auf welchen die USA ebenso reagieren müssten wie seinerzeit bei der Bekämpfung von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Vor diesem Hintergrund kann das Selbstverständnis jener jüngsten Denkrichtung kritischen geopolitischen Denkens dahingehend zusammengefasst werden, dass „[t]he importance of critical geopolitical research is to show explicitly that the very construction of the images used in foreign policy making is itself a key geopolitical act“ (Taylor/Flint 2000: 103). Auch wenn eine Reduktion auf den rein geopolitischen Aspekt vermieden werden sollte – schließlich ging es in der Bosnien-Frage keineswegs ausschließlich um geopolitische Aspekte – zeigt sich doch sehr deutlich, dass sowohl auf Seiten der Geographie als auch der Politikwissenschaft mehr oder minder die gleichen Diskurse mit dem gleichen Vokabular geführt worden sind. Stets ging es um den sig-nifikanten Anderen, wobei dieser regelmäßig zugleich ein territoriales wie identitäres Merkmal trug, wie etwa das Szenario The West vs the Rest deutlich zeigt, wo es sowohl um die Staaten des geographischen Westens als auch um ein spezifisches, (konstruiertes) gemeinsames Selbstverständnis ging. Ähnliches trifft auf Szenarien wie Another East zu.

Auf der anderen Seite kam es hingegen allmählich zu einer (Wieder-)Annäherung geographischen geopolitischen Denkens und der namentlich realistischen Schule der Theorie der Internationalen Beziehungen auf politologischer Seite. Hierbei konnte im Prinzip an eine reiche Tradition wissenschaftlichen Denkens angeknüpft werden, welche auf politologischer Seite in enger wechselseitiger Beziehung mit der politischen Praxis namentlich des Kalten Krieges kontinuierlich fortentwickelt wurde. Basierend auf Mackinders Losung „Wer Osteuropa regiert, beherrscht das Herzland (Asiens Landmasse), wer das Herzland regiert, beherrscht die Weltinsel (d.h. Eurasien plus Afrika), und wer die Weltinsel regiert, beherrscht die Welt“, waren diese Größen bei der konkreten Außenpolitikgestaltung von maßgeblicher Bedeutung. Die amerikanische Doktrin der Eindämmung (Containment) bezog sich in der politischen Praxis auf das Rimland, wohingegen sich die Strategie der nuklearen Abschreckung vor allem auf das asiatische Herzland bezog (Walters 1974; Taylor/Flint 2000: 59). Zugleich lässt sich erkennen, dass im Verlauf des Kalten Krieges Mackinders Herzlandtheorie zusehends weiterentwickelt wurde, um der komplexer werdenden globalen Realität gerecht zu werden (etwa Halliday 1983).

Ebenfalls im Kontext des Kalten Krieges tritt die Bedeutung von Operational Codes zutage, die hier vor allem in Form von geopolitischen Codes auftritt (Taylor/Flint 2000: 92ff.). Operational Codes stellen dabei einen wichtigen Analyseansatz auf dem Gebiet der Internationalen Beziehungen beziehungsweise der Foreign Policy Analysis (FPA) dar, welcher grundlegend für die Herstellung der Verbindung zwischen den Belief Systems einzelner (außen-) politischer Entscheidungsträger und staatlichem Handeln auf internationaler Ebene ist (Smith 1988). Allerdings ist an dieser Stelle einzuräumen, dass insbesondere die klassischen politikwissenschaftlichen Theorien der Internationalen Beziehungen jenen kognitivistischen Zugang zu zwischenstaatlichem Handeln, welcher die subjektiven Repräsentationen der Wirklichkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt, in vielfacher Hinsicht vernachlässigt haben. Dies mag verwundern, bieten doch Ansätze wie die schon 1979 von Amos Tversky und Daniel Kahneman als Alternative zur Erwartungsnutzentheorie entwickelte Neue Erwartungstheorie beziehungsweise Prospect Theory die Möglichkeit, Entscheidungsfindungsprozesse in Situationen der Unsicherheit zu erklären, bei denen unwägbare Risiken vorliegen beziehungsweise die Eintrittswahrscheinlichkeiten unbekannt sind. Eine Verbindung jenes kognitiv-basierten Ansatzes der Außenpolitikanalyse mit geopolitischem Denken kann, wie der Blick etwa auf George Kennan, einen der US-amerikanischen Strategen der Ära des Kalten Krieges, zeigt, sehr erhellend sein. Hierbei ist sein Operational Code primär als Reaktion auf das von ihm abgelehnte universalistische Eine-Welt-Denken zu verstehen, welches idealistisch inspirierte amerikanische Politiker und Bürokraten auch auf die UdSSR anwenden wollten. So versuchte Kennan etwa 1946 in seinem berühmt gewordenen langen Telegramm darzulegen, weshalb ein solcher Ansatz mit Blick auf die Sowjetunion nicht funktionieren könne. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine härtere Linie gegenüber Moskau, die etwa in der Truman-Doktrin von 1947 ihren Niederschlag fand. Auch sein ursprünglich anonym veröffentlichter sogenannter Mr. X-Artikel in der Fachzeitschrift Foreign Affairs trug maßgeblich zur Entstehung der Eindämmungspolitik bei, die explizit auf geopolitischen und geostrategischen Annahmen beruhte. Kennans allgemeinen Annahmen zufolge seien unterschiedliche geographischen Regionen der Welt in unterschiedlichem Maße relevant für die nationale Sicherheit der USA. In diesem Zusammenhang definierte er bestimmte Großzonen (Nordatlantik, Nahost, Asien-Pazifik) und vier Machtzentren, welche gemeinsam mit den USA fünf globale Machtknoten ergeben. Zwischen diesen gelte es, das Mächtegleichgewicht herzustellen.

Wirft man in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Geographie, so lässt sich mit Saul Cohen (1973) ein einziger Geograph ausmachen, der sich mit derartigen Fragen auseinandersetzt: Im Rahmen seines Modells hierarchisch-regionaler Weltordnung versucht er aufzuzeigen, dass eine auf dem Gegensatz von Herzland und Rimland beruhende Politik der Eindämmung wenig zielführend ist. Vielmehr lasse sich die Welt in zwei geostrategische Großregionen einteilen, die auf Handel basierende maritime Welt und die eurasische Kontinentalwelt, welche ihrerseits in fünf untergeordnete geopolitische Regionen untergliedert werden. Daneben macht Cohen politisch instabile Zwischenzonen, sogenannte Shatterbelts, aus, nämlich den Nahen Osten einerseits und Südostasien andererseits. Anders als die geopolitischen Regionen sind die beiden Shatterbelts territorial fragmentiert und weisen keine politische Einheit auf. Zugleich sind sie von den geostrategischen Großregionen vielfach penetriert. Da beide geostrategischen Regionen Interessen in diesen Bruchgürteln verfolgen, gelte es, genau dort Eindämmungspolitik zu verfolgen. In einem erweiterten Modell verweist Cohen (1982) darauf, dass zu den bestehenden Weltmächten USA und UdSSR mit Japan, China und Europa nicht nur noch drei weitere hinzugekommen seien, sondern mit Ländern wie Indien, Brasilien oder Nigeria zudem Regionalmächte entstanden seien. Interessant ist somit nicht nur der Ansatz, die sich wandelnden Machtverhältnisse vor allem an die geographische Lage zurückzubinden und die Idee einer geopolitisch basierten Weltordnung zu manifestieren, die dem Prinzip nach auf die auf dem Wiener Kongress 1815 festgelegte Idee eines interstaatlichen Systems austarierter Mächte folgt, sondern auch, dass es Cohen darum ging, mit seinen Erkenntnissen aktiv auf die Außen- und Sicherheitspolitik der USA einzuwirken (Taylor/Flint 2000: 61).

Dennoch wurde dieser Bereich nahezu ausschließlich durch die Politologie analysiert. Eine Auseinandersetzung mit der außenpolitischen Rolle der USA seitens der (Politischen) Geographie lässt sich letztlich erst im Kontext der Globalisierung wieder ausmachen. In diesem Zusammenhang tritt dann auch eine Auseinandersetzung mit dem Bereich des (Neo-) Imperialismus zutage, welcher ebenfalls ein hohes Maß potenzieller Überschneidungen der beiden Disziplinen aufweist.

So war gerade der Aufstieg der Geographie als universitäres Fach im ausklingenden 19. Jahrhundert eng mit dem Imperialismus verbunden (Hudson 1977). Die bereits damals erkennbare Ausdifferenzierung von politischer, ökonomischer und kolonialer Geographie entwickelte sich vor allem deswegen so rasant, weil sie jenen Personenkreisen, die aktiv im Imperialismus engagiert waren, von Nutzen waren (Taylor/Flint 2000: 105). Heute stellt sich das Bild anders da: Imperialismus ist seit langem kein bedeutendes Thema mehr für die Geographie, ganz anders als für die Politikwissenschaft, welche sich intensiv mit den verschiedenen Facetten von Imperialismus, Kolonialismus und sonstigen Formen von Fremdherrschaft und Penetration analytisch wie normativ auseinandergesetzt hat. Neben Ansätzen von Gollwitzer, Baumgart, Fredjung oder de Lanessan, die Imperialismus als Ausdruck existenzieller Großmachtrivalität interpretierten, wo die Wahl letztlich zwischen Weltmacht oder nationalem Niedergang bestand und wo im Sinne des Mächtegleichgewichts à la Wiener Kongress bei Bedarf auch die Bildung von Blöcken imperialer Nationen ermöglicht wurde, wie Tardieu in seinem Buch über Curzon und die Persische Frage sehr deutlich aufzeigt, wurde regelmäßig auch die Mikroebene berücksichtigt. So analysierte die Politikwissenschaft die Rolle der in den globalen Zentren ansässigen Eliten und ihrer Interessen sowie deren Kooptation der peripheren Eliten, die Funktion des Imperialismus als Ventil der sozio-ökonomischen und sozio-politischen Probleme der Zentren oder den Wunsch konservativer Kräfte, den eigenen Machtverlust im Innern durch eine kraftvolle nationalistische Außen- und Weltpolitik aufzuhalten, was letztlich maßgeblich zu einem Wandel der einst liberalen Nationsidee zu ihrer autoritären Auswirkung beitrug. Politisches und ökonomisches Streben, Interessen unterschiedlicher sozialer Schichten und auf eine spezifische Weise konstruierte nationale Identitäten, alles Bereiche im Wesentlichen politikwissenschaftlicher Analyse, entfalteten somit ihre Wirkung in geographischen Kontexten. Denn schließlich ging es ja um das Überschreiten von Grenzen, seien sie nun politisch, naturräumlich oder kulturell definiert sowie das Besetzen, Durchdringen und schließlich Verschieben unterschiedlich gearteter Territorien, Plätze oder Räume. Noch konkreter ging es um geostrategische Vorteile etwa an Meerengen oder sonstigen wichtigen Welthandelsrouten, die Gewährleistung der Versorgung mit Bodenschätzen oder den Zugang zu Warmwasserhäfen, um nur einige Beispiele zu nennen. Vor diesem Hintergrund wäre die Einbeziehung originär geographischen Denkens in seiner natur-, wie kulturwissenschaftlichen Ausprägung eine hilfreiche und hochwillkommene Ergänzung der politikwissenschaftlichen (wie auch ökonomischen, soziologischen etc.) Erklärungsansätze des Imperialismus. Dies gilt umso mehr angesichts der heute in neuem Gewande – etwa in Form des wiederaufgelegten Great Games in Zentralasien, von Menschenhandel, Ressourcen-Konflikten, Landgrabbing und vielem mehr – erkennbaren imperialistischen Phänomene, die in zunehmendem Maße Politik, Politikberatung und Politikwissenschaft, aber ebenso zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft bewegen und herausfordern. Dies gilt aber ebenso mit Blick auf die zentrale Größe der Politikwissenschaft, namentlich der Internationalen Beziehungen, den Staat. Während die Politische Geographie ihre große Zeit in den Zwischenkriegsjahren erlebte, allem voran mit dem großen Einfluss, den sie auf der Versailler Konferenz 1919 entfaltete, musste sie nach 1945 vor allem aufgrund der Diskreditierung des Geopolitik-Konzepts eine erhebliche Bedeutungs- beziehungsweise Renommee-Einbuße hinnehmen. Die Untersuchungsobjekte schrumpften auf Area Studies und die Betrachtung politischer Regionen, ohne jedoch deren strategische Bedeutung aufzugreifen, geschweige denn der Komplexität moderner territorialer Nationalstaatlichkeit gerecht zu werden (Hartshorne 1954; Claval 1984; Taylor/Flint 2000: 146). Die Politikwissenschaft indes setzte sich mit gleichsam allen Aspekten von Staatlichkeit auseinander, sei es Legitimität und Legalität, physisches Gewaltmonopol, Bürokratie und Institutionen, Steuersystem oder kultureller beziehungsweise identitärer Homogenität. Hierbei treten die Überschneidungsbereiche beider Disziplinen deutlich zu Tage: So steht die Territorialität eines Staates in engem Zusammenhang mit dem Schutzgedanken. Nach der Erfindung des Schießpulvers waren die Burgen als Rückzugsorte bzw. Plätze von strategischer Bedeutung hinfällig geworden, nur der souveräne Nationalstaat, der aufgrund seiner Einnahmen, welche wiederum auf einer funktionierenden (Finanz-) Bürokratie basierten, ein stehendes Heer finanzieren konnte, war in der Lage, Schutz zu gewährleisten. Diese Herausbildung von Machtmonaden, welche ihren zentralen Niederschlag im Westfälischen System fand, das aus dem Friedensschluss von Münster und Osnabrück 1648 resultierte, dessen Prinzipien aber bereits im Cuius-Regio-Eius-Religio-Prinzip des Augsburger Religionsfriedens von 1555 angedeutet wurden, führte schließlich zu einem anarchischen Weltsystem mit Staaten als oberste Einheiten. Dies wiederum führte zur Herausbildung einer spezifischen Form realistischen Denkens in der politikwissenschaftlichen Lehre der Internationalen Beziehungen. Dabei mag es nicht verwundern, dass just diese Denkschule eine starke Affinität zu geopolitischem und geoökonomischem Denken und geostrategischen Ansätzen aufweist und zugleich diejenige Theorie der Internationalen Beziehungen darstellt, welche den höchsten Interaktionsgrad mit der außenpolitischen Praxis aufweist, und das sowohl als Grundlage der Theoriebildung als auch mit Blick auf politikberatende oder gar politikgestaltende Wirkungsentfaltung. Und auch mit Blick auf den zweiten Staatenbildungsprozess in der modernen Geschichte, der zur endgültigen Durchstaatlichung der Welt führte, schließt sich ein Kreis zwischen den beiden Disziplinen, basierte dieser Prozess doch gerade auf dem Ausgang einer Vielzahl von Staaten aus ihrer imperialistisch-kolonialen Zwangsjacke. Auch hier versäumte es die (Politische) Geographie, tragfähige Erklärungsansätze zu liefern. Letztlich setzte deren ernsthafte Auseinandersetzung mit quasi-kolonialen beziehungsweise quasi-imperialistischen Phänomen erst in den frühen 1990er Jahren im Zuge einer sukzessive ansteigenden Beschäftigung mit dem Phänomen der Globalisierung ein (etwa Castells 1996; Slater 1997; Storper 1997). Dies ist umso erstaunlicher, weil Globalisierung in vielerlei Hinsicht ja gerade auch mit Entgrenzung und Entterritorialisierung zu tun hat, wie sich etwa anhand des gleichsam entgrenzten globalen Finanzsystems und der immer weiter voranschreitenden Cyberisierung der Welt erkennen lässt.
Von möglicherweise großem Vorteil mit Blick auf die Überwindung des Nebeneinanders von Politikwissenschaft und (Politischer) Geographie könnte sich die in diesem Zusammenhang erkennbare Öffnung der Geographie zu originär politikwissenschaftlichen ebenso wie zu nationalökonomischen Themen erweisen; sofern die allen Fächern inhärente Neigung zu disziplinärem Egoismus überwunden wird, bestehen hier interessante Potenziale für Synergien und erweiterten Erkenntnisgewinn.

Dies gilt nicht nur für Fragen der Staatlichkeit per se, sondern insbesondere für die Auseinandersetzung mit dem Föderalismus, der wohl „most ‚geographical‘ political form“ (Taylor/Flint 2000: 167), geht es doch genau dort um die Aufteilung politischer Macht nach territorialen Gesichtspunkten. Hierbei kann – je nach konkreter Ausgestaltung des Föderalismus und der jeweiligen sozio-ökonomischen, sozio-politischen, aber ebenso ethnischen, religiösen oder kulturellen Situation beziehungsweise regionalen Distribution – die spezifische Verteilung von Kompetenzen auf unterschiedliche Gebietskörperschaften, Bevölkerungsgruppen etc. zur Eskalation oder Deeskalation von Konflikten beitragen. Auch originär geographische Disparitäten, wie etwa die ungleiche Verteilung von natürlichen Ressourcen innerhalb einer Föderation, kann durch politische Instrumente wie etwa re-distribuierende Maßnahmen des Fiskalföderalismus ausgeglichen werden. Darüber hinaus zeigt sich in föderalen Staaten mit konsolidierten Parteiensystemen regelmäßig deutlich, dass ein und dieselbe nationale politische Partei in den Gliedstaaten sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren kann, einfach weil sie den aus den geographischen Spezifika heraus entstehenden divergierenden Interessen und Bedürfnissen auf diese Weise gerecht werden kann. Dass dies auch zu Konflikten und regelrechten Zerreißproben führen kann, sei an dieser Stelle nicht verschwiegen. Eine extreme Form erreichten derartig konflikthaltige Konstellationen in den USA, wo die auf nationaler Ebene liberale Demokratische Partei dem geschlossenen Block der im Wesentlichen in den ehemaligen sezessionistischen Konföderierten Staaten von Amerika angesiedelten ultra-konservativen Demokratischen Parteien dieser Gliedstaaten gegenüberstanden.
Profitieren können Politikwissenschaft und Geographie in Bezug auf die Analyse von sogenannten Mehrebenen-Regierungs- oder Regulierungssystemen, wie etwa eines Bundesstaates/einer Föderation oder der Europäischen Union, aber auch dezidiert unter dem Gesichtspunkt der Raumkonzeption scale (Jessop et al. 2008). So verdeutlichen etwa Moss/Newig (2010: 1) die Bedeutung des „misfit“ zwischen politikwissenschaftlichen und geographischen Analysekategorien im Hinblick auf die Umweltpolitik: „Levels of government and administration typically do not fit the environmentally relevant scales, resulting in inefficiencies, spatial externalities and spillovers. Tension exists also between the traditional nested hierarchies of national political-administrative systems and trends towards both the upscaling of governance in the form of multinational agreements or the growing influence of the European Union and downscaling in the form of decentralization of environmental decision-making involving a diversity of local non-state actors.” Dass die Debatte um den (mis-)fit von politikwissenschaftlichen und geographischen Analysekategorien keineswegs lediglich im Bereich der akademischen Befindlichkeiten zu verorten ist, zeigen Moss/Newig (2010: 4). Hierbei wird ein oftmals entscheidender Beitrag zur – eventuell lediglich perzipierten – mangelnden demokratischen Legitimität, sowohl input- als auch outputbezogen, von politischen Entscheidungen hervorgerufen: „The higher the scalar level of collective decision-making, the lower the possibilities for participation of the relevant constituency (“inputoriented legitimacy”) and thus the more pronounced are potential conflicts. This can threaten the acceptability and implementation of environmental governance. On the other hand, the lower the scalar governance level, the more difficult it becomes to effectively tackle environmental problems, in particular those that are not of a strictly local nature (“output-oriented legitimacy”).” In die Erforschung der Europäischen Union wiederum ging das Raumkonzept scale durch die Entwicklung des Multi-level-governance-Ansatzes (MLG) ein (vgl. hierzu etwa Marks/Hooghe 2001). Dieses Forschungsparadigma geht der Frage nach, welche Auswirkungen der sich vor allem in den 1990er Jahren vollziehende simultane Transfer von staatlichen Souveränitätsrechten auf die supranationale (EU-) Ebene sowie auf die subnationale (regionale) Ebene für die Regulierungskompetenzen und –fähigkeiten von politischen Akteuren hat. Hierbei betonen MLG-Forscher insbesondere die Bedeutung der gegenseitigen Abhängigkeit der horizontal geschichteten politischen Ebenen, in der sowohl hierarchische Prozesse „von oben nach unten“ als auch Inputprozesse „von unten nach oben“ ablaufen und sich essentiell auf den politischen Regulierungsprozess auswirken.

Eine politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit American Politics, wie bereits in Hinblick auf das Thema Föderalismus diskutiert, öffnet zugleich auch den Blick auf ein weiteres Phänomen, welches der Politikwissenschaft und Geographie die Möglichkeit zur fruchtbaren Kooperation bietet: die Analyse von Wahlen. Die Wahlgeographie beschäftigt sich seit ihrer „Begründung“ durch den Franzosen André Siegfried im Jahre 1913 mit seinem Beitrag „Tableau politique de la France de l’Ouest sous la Troisième République“ bereits mit sehr ähnlichen Themen wie die seit den 1920er Jahren bestehende empirische Wahlforschung als Teilbereich der Politikwissenschaften (Roth 2008: 21-25). In der deutschen Wahlforschung wird der Wahlgeographie in ihrer durch Geographen vertretenen Form bisher jedoch eine eher untergeordnete Rolle zu geschrieben.  So wurde der Beitrag „Wahlgeographie und Politische Ökologie“ im „Handbuch Wahlforschung“ als eines der Standardwerke der deutschsprachigen Wahlforschung von zwei Politikwissenschaftlern verfasst (vgl. Falter/Winkler 2014). Dies ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass das in der Bundesrepublik seit ihrer Gründung angewandte Verhältniswahlsystem einer zentralen Frage der Wahlgeographie, nämlich derjenigen nach der – in geographischer Hinsicht – angemessenen Repräsentation der wahlberechtigten Bevölkerung in den einzelnen Wahlkreisen wenig Relevanz zukommen lässt. Dies steht beispielsweise im Gegensatz zum System der Vereinigten Staaten.  In der Mehrheit vertritt die Wahlforschung die Meinung, „ohne Berücksichtigung der räumlichen Dimension auszukommen“. Regionale  oder ähnliche räumliche Disparitäten werden hierbei eher als „Störfaktoren“ bei der Suche nach kontextunabhängigen Kausalbeziehungen zwischen einzelnen Variablen aufgefasst (Falter/Winkler 2014: 163).

Gleichwohl verweisen Falter/Winkler (2014: 148ff.) auf den Umstand, dass geographische Ansätze auch für das politikwissenschaftliche Erkenntnisinteresse von höchstem Nutzen sein können. So können mittels geographischer Ansätze etwa lokale Einflüsse auf Wahlentscheidungen identifiziert und hierdurch auf soziale Variablen fokussierte Ansätze aus der Politikwissenschaft sinnvoll ergänzt werden. Verdeutlicht werden kann die Bedeutung lokaler Faktoren etwa anhand der Ausführungen von Agnew (1995) in Bezug auf die rechtspopulistische und xenophobische italienische Partei Lega Nord. Agnew zufolge können die Erfolge der Lega Nord in Norditalien gerade eben nicht durch soziale Variablen erklärt werden. Vielmehr müsse in Betracht gezogen werden, dass die politische Rhetorik der Parteiführung aufgrund spezifisch-lokaler Umstände auf fruchtbaren Boden falle. Hier lässt sich auch der Hauptunterschied zwischen politikwissenschaftlichen und geographischen Zugängen zur Wahlforschung deutlich machen: Während die Politikwissenschaft Theorien über allgemein zu erwartende empirische Werte entwickeln kann, ist es die Stärke der Wahlgeographie durch die Entwicklung und Deutung sogenannter „lokaler Effekte“ gerade die Diskrepanz zwischen Empirie und theoretischer Erwartung zu erklären (Falter/Winkler 2014: 151-152). Johnston (1985) zufolge lassen sich vier verschiedene Typen lokaler Effekte identifizieren. Zunächst handelt es sich hierbei um bereits bei Cox (1969) identifizierte Ansteckungseffekte. Demnach wird sich ein in seinen Präferenzen mit der Mehrheit nicht übereinstimmender Wähler umso eher der Mehrheit anschließen, je größer diese Mehrheit ausfällt (Cross pressures). Als weitere Typen lokaler Effekte identifiziert Johnston (1985) Sektionseffekte, Umwelteffekte sowie Wahlkampfeffekte. Sektionseffekte greifen hierbei auf die Reproduktion eines bestimmten Milieus zurück, in welchem eine dominante politische Partei besteht. Dies ermöglicht einen Hinweis auf die Frage, weshalb eine Partei ihre dominante Stellung in einem Gebiet über einen längeren Zeitraum halten kann, als dies eigentlich aufgrund von sozioökonomischen Faktoren zu erwarten wäre. Während Sektionseffekte somit längerfristiger Natur sind, beschreibt Johnston Umwelteffekte als kurzfristige Parameter. Auftreten können sie einerseits durch Wählerbewegungen, ausgelöst durch die Präsenz eines spezifischen lokalen Kandidaten, sowie andererseits durch eine Dominierung der politischen Agenda von lokalen oder regionalen Themenfeldern. Wahlkampfeffekte schließlich definiert Johnston als wahlkampfspezifische Bedingungen „vor Ort“. Hierbei können Wählerbewegungen etwa durch ein unterschiedliches Ausmaß an Engagement von WahlkampfhelfernInnen oder gelungene regionale Wahlkampfführung erklärt werden (vgl. auch Falter/Winkler 2014: 152). Weitere Einsicht versprechende Schnittmengen zwischen Politikwissenschaft und Geographie ergeben sich etwa im Bereich der Erforschung des Aufstiegs der NSDAP Anfang der 1930er Jahre (vgl. hierzu O’Loughlin et al. 1994) und der Verschmelzung der wahlgeographischen Perspektive mit der ökonomischen Theorie der Politik nach Downs (1957) durch Johnston (1979) sowie schließlich dem sogenannten „Gerrymandering“, auf welches nun ausführlicher eingegangen werden soll. Gerrymandering widmet sich der Frage, wie eine Partei mittels manipulativen Neuzuschnitts von Wahlkreisen einen Vorteil zu erlangen versucht (Falter/Winkler 2014: 156-159). Das grundlegende Problem ist hierbei, dass vor allem in solchen politischen Systemen regelmäßige Neuzuschnitte der Wahlkreise erfolgen müssen, welche Mehrheitswahlsysteme in Einerwahlkreisen anwenden.  Dieses Instrument wird verwendet, um durch demographische Veränderungen entstehende Ungleichheiten zwischen den Wahlkreisen auszugleichen. Dies wiederum geschieht mit dem Ziel, jeder abgegebenen Wählerstimme ungefähr den gleichen Wert zukommen zu lassen. Die Diskussion der sogenannten „Wahlkreisgeometrie“ wurde durch einen Vorfall aus dem Jahr 1812 im US-Bundesstaat Massachusetts ausgelöst: Der Gouverneur von Massachusetts Elbridge Gerry ließ im Bestreben seiner Partei einen Vorteil zu verschaffen nördlich von Boston einen Wahlkreis „zuschneidern“, der in seiner Form an einen Salamander erinnerte und demzufolge spätestens seit der Veröffentlichung von Griffith (1907) „Gerrymander“ genannt wird. Auch Griffith (1907: 7) bezeichnete diesen Griff in die manipulative Trickkiste der Politik als „fraud, deception, and trickery“. Dadurch werdedas Fortbestehen der Vereinigten Staaten aufgrund der Infragestellung der Grundprinzipien der repräsentativen Demokratie insgesamt gefährdet. Zentrales Thema sowohl der Geographie als auch der Politikwissenschaften ist die Frage, woran genau unfaire Wahlkreiseinteilung zu erkennen ist, wenn sie nicht derart plump und auffällig betrieben wird wie im Falle von Gouverneur Gerry. Als Leitkriterien für eine solche Untersuchung, die viel Raum für interdisziplinäre Kooperationen bietet, nennen Falter/Winkler (2014: 159) die ungefähre Größengleichheit der einzelnen Wahlkreise sowie deren räumliche Verbundenheit. Während diese beiden Kriterien noch sowohl eingängig in ihrer Sinnhaftigkeit als auch einfach zu überprüfen sind, erscheint das dritte Kriterium, die Homogenität der Wahlkreise, als durchaus strittig: „Während die einen dafür plädieren, dass sich die Teilgebiete eines Wahlkreises im Hinblick auf die soziale, wirtschaftliche, politische oder ethnische Struktur ähneln, argumentieren andere, Wahlgebiete sollten eine ausgewogene Mischung unterschiedlich strukturierter Teilgebiete aufweisen“ (Falter/Winkler 2014: 159).

Es wurde nun bereits ersichtlich, dass der Geographie eine bedeutende Relevanz für die politikwissenschaftliche Analyse von Konflikten zukommt. So können geographische Erwägungen in Hinblick auf die mögliche Föderalisierung eines Landes als innenpolitische Pazifizierungsstrategie dienen. Weiterhin können Argumente der Wahlgeographie den Befürwortern und Gegnern einer bestimmten Wahlkreiseinteilung im – in Abhängigkeit vom jeweiligen Land mitunter sehr heftigen – innenpolitischen Streit um den Wahlkreiszuschnitt Munition liefern. Im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtige Bedeutung kommt der Geographie aber zu, sobald man die Untersuchung von innerstaatlichen Streitigkeiten und Konflikten löst und sich der Analyse interstaatlicher Konflikte widmet. Weiter oben wurde der Begriff Geopolitik bereits eingeführt, welchen der ehemalige Präsident der International Studies Association (ISA) Harvey Starr (2013a: 77—78) wie folgt definiert: „[Geopolitics] is not a term for the general linkage of politics to geography. It should rather be understood as a conceptual and terminological tradition in the study of the political and strategic relevance of geography“ (vgl. auch Starr 2013b). Auf dieser Definition aufbauend diskutiert Starr insbesondere zwei unterschiedliche Bedeutungsmuster der Geographie für das Studium von zwischenstaatlichen Konflikten, dem auch nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch dominierenden Forschungsgegenstand des politikwissenschaftlichen Teilbereichs Internationale Beziehungen (IB) bzw. von dessen „Unterteilbereich“ Internationale Sicherheitsstudien (ISS). Einerseits, so Starr (2013a: 47-51), könne der Geographie der Status einer „facilitating condition“ für das Auftreten zwischenstaatlicher Konflikte zukommen, also ein bestimmtes geographisches Setting das Ausbrechen von Feindseligkeiten erleichtern oder bedingen. Andererseits kann Geographie selbst die Ursache von zwischenstaatlichen Konflikten sein, was von Starr als territoriale Perspektive auf das Verhältnis von IB und Geographie beschrieben wird (Starr 2013a: 51; für die Grundlegung zu dieser Unterscheidung vgl. Diehl 1991). Die Erforschung der möglichen Bedeutung von Geographie als „facilitating condition“ geht hierbei der Frage nach, ob eine zunehmende räumliche absolute Nähe (Starr 2013a: 22-29) zweier Staaten zueinander, mit einer gemeinsamen Grenze als höchstmöglicher Ausprägung dieser Variable, durch die Erhöhung der Interaktionsmöglichkeiten dieser beiden Staaten friedens- oder konfliktfördernd wirken kann. Der Umstand, dass die empirischen Ergebnisse zu dieser Frage bisher keineswegs widerspruchslos ausgefallen sind, lässt somit noch viel Raum für künftige interdisziplinäre Untersuchungen von IB-Forschern und Geographen. Bisher besteht weitestgehende Einigkeit lediglich dahingehend, dass Geographie bzw. zunehmende räumliche absolute Nähe überhaupt erst die Möglichkeit eines ausbrechenden Konflikts schafft, aber keineswegs als determinierender Faktor angesehen werden kann (Starr 2013a: 50-51).

Die territoriale Perspektive auf das Verhältnis von Geographie und IB bzw. ISS dagegen geht der Frage nach, wann und unter welchen Umständen ein bestimmtes Territorium selbst zur Ursache von zwischenstaatlichen Konflikten wird. Eine Problemsituation kann beispielsweise durch Gebietsansprüche eines Staates auf Teile des Territoriums eines anderen Staates, konkurrierende Ansprüche zweier Staaten auf Teile des Territoriums eines Drittstaates oder sonstiges Territorium (wie etwa die Arktis) sowie durch die strategische Bedeutung eines bestimmten Gebietes entstehen. Der mögliche intrinsische Wert von Territorium (Starr 2013a: 51) bzw. die Bedeutungsaufladung eines Gebiets und die Problematik sowie Gefahren, welche hierdurch für die zwischenstaatlichen Beziehungen entstehen können, werden aktuell am Beispiel des Zerwürfnisses zwischen dem Westen und Russland deutlich. Ursächlich hierfür sind unter anderem die Annexion der Krim durch die russische Föderation sowie die russischen Politik gegenüber der Ukraine deutlich. Wissenschaftlern aus allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen bietet sich hier ein Modellbeispiel dafür, dass einem Territorium sowohl ein materiell-strategischer (etwa im Hinblick auf den russischen Marinestützpunkt Sewastopol) als auch ein immaterieller (beinahe mythische Bedeutung der Krim für die russische Geschichte) Wert zukommen kann, wodurch ein Gebiet schnell zu einem „indivisible issue“ werden kann. Starr (2013a: 53) verdeutlicht die Bedeutung des Territorialbegriffs unter dieser Bedingung wie folgt: „The research on territory and conflict indicates that territory is literally always of high value, salience, or importance to people and groups. Territory raises the stakes/value of conflict, thus raising the probability of escalation and lowering the probability of easy management.“
Neben den Raumkonzeptionen territory oder scale kommt aber auch dem Netzwerk als Raum für Interaktionen (Jessop/et al. 2008: 390-391) eine beachtliche Bedeutung im politikwissenschaftlichen Forschungsprozess im Allgemeinen sowie im Bereich der Internationalen Sicherheitsstudien im Besonderen zu. Dieser Sachverhalt muss dabei von den jeweiligen Forschern nicht einmal notwendigerweise als Territorialthematik begriffen oder definiert werden. Verdeutlichen lässt sich die Rolle von Netzwerken etwa anhand der umfangreichen empirischen Arbeiten zur Rolle sogenannter Politiknetzwerken in Bezug auf die Entscheidungsfindung auf der Ebene der Europäischen Union (vgl. etwa Börzel 2009; Börzel/Heard-Laureote 2009; Merand/et al. 2010) sowie durch die zahllosen Arbeiten hierzu aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen (etwa Hafner-Burton/et al. 2009). Neben diesem gemeinsamen grundlegenden Interesse der Disziplinen Politikwissenschaft und Geographie an dem Forschungsgegenstand des Netzwerks zeigt sich aber noch eine weitere Schnittmenge, in der die Geographie jedoch erneut auf ein Instrument der Politikwissenschaften reduziert wird. . So verdeutlichen Hafner-Burton/et al. (2009: 563), dass die Kombination von Geographie bzw. räumlicher absoluter Nähe mit einer gemeinsamen Identität als implizite Verbindung neben direkten Verbindungen eine von drei Grundlagen für das Bestehen bzw. Zustandekommen eines Netzwerkes sein kann. Unter direkten Verbindungen können hier Beziehungen zwischen Personen oder Handelspartnern sowie Beziehungsnetzwerke im Rahmen von Allianzen, Organisationen oder Abkommen verstanden werden

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