Wenn menschliche Wanderungsbewegungen auf Karten dargestellt werden, dann zumeist als Pfeile, die mehr oder weniger geradlinig von A nach B verlaufen. Diese Darstellung entspricht dem Bild von Migration, das auch die Forschung lange Zeit (mit) prägte: das einer einmaligen Bewegung von einem Ort zu einem anderen, von einer behälterförmig gedachten Region in eine andere.
Das Logo der humangeographischen Sommerschule „Geographien der Migration“, die vom 7. bis zum 10. April 2015 an der Universität Osnabrück mit über 80 TeilnehmerInnen und 20 DozentInnen stattfand1, greift diese klassische Migrationssymbolik auf und führt sie sogleich ad absurdum. Als Grundlage für das Logo wählten wir das Bild „upstream“ der Künstlerin Julie Béna (Abb. 1), auf dem bunte, in verschiedene Richtungen weisende Pfeile auf schwarzem Hintergrund zu sehen sind. Die Pfeile sind ohne Bezugspunkt – das Auge sucht vergeblich nach Landmassen, Grenzen oder einer Legende. Sie könnten für alles Mögliche stehen, für Kapitalströme ebenso wie für Tourismus. Man könnte in ihnen auch einfach nur bunte Pfeile oder geometrische Formen erkennen. Erst durch unsere Überschreibung, durch den weißen Titel und die weiteren organisatorisch-formalen Angaben wird die mögliche Bedeutungsvielfalt eingeschränkt. Nun liegt es nahe, die Pfeile mit Migration zu assoziieren.
Dieser Akt des Einritzens verweist auf eine geographische Migrationsforschung, die nicht nur die Wege, Orte, Räume und Grenzen der Migration, sondern auch diejenigen in den Blick nimmt, die (raumbezogenes) Wissen über Migration kreieren, die Migration sichtbar machen, sie kommunizieren und auf diese Weise auch mit erschaffen und reproduzieren. Das Logo deutet derart auf einen Perspektivwechsel hin – weg von einem essentialistischen Blick auf Räume und Identitäten, hin zu konstruktivistischen Sichtweisen auf das Wechselverhältnis von Raumkonstruktionen, sozialen Beziehungen, Praktiken und Identitäten. So ging es in der Sommerschule um Geographien der Migration im Plural: Sie führte entlang verschiedener aktueller Themen und Fragestellungen in unterschiedliche Perspektiven geographischer Migrationsforschung ein. Sie fragte, was geographische Migrationsforschung leisten kann und soll und welche Rolle ihr im interdisziplinären Kontext zukommt. Auch die Herausforderungen und Schwierigkeiten einer konstruktivistischen (geographischen) Migrationsforschung wurden thematisiert: Nachgedacht wurde über die Positionalität von Forschung, das erkenntnistheoretische Potential von Selbstreflexivität sowie forschungsethische Fragen zum Verhältnis von Migrationsforschung, Politik und Praxis.
Mit der Osnabrücker Veranstaltung wurde die Reihe der humangeographischen Sommerschulen erfolgreich fortgesetzt, die zuvor bereits in Erlangen, Heidelberg, Münster und Frankfurt a.M. stattfanden. Ziel dieser Reihe ist die intensive Beschäftigung mit neueren Ansätzen der Humangeographie. Die Sommerschulen wollen Studierenden und Promovierenden die Gelegenheit bieten, Theorien, Perspektiven und Themen kennenzulernen, für die im Universitätsalltag oft zu wenig Platz bleibt. Zugleich soll der Austausch zwischen verschiedenen Disziplinen und Universitäten ermöglicht werden.
Im Zentrum der diesjährigen Sommerschule standen 14 (größtenteils) ganztägige Workshops, in denen sich, angeleitet von insgesamt 20 DozentInnen, kleine Gruppen verschiedenen Themen und innovativen Ansätzen widmeten. Gestützt auf Vorbereitungstexte wurden anhand ausgewählter empirischer Materialien Inhalte gemeinsam erarbeitet. Die Fülle der angebotenen Workshopthemen deckte ein weites konzeptionelles und sachliches Spektrum ab und regte zugleich zum Vergleich der unterschiedlichen Perspektiven an. Eingerahmt wurden die Diskussionen durch Plenumsveranstaltungen für alle TeilnehmerInnen, die die Grenzen von Forschung, politischer Praxis und künstlerischem Schaffen hinterfragten und aufbrachen: Neben dem Eröffnungsvortrag von Professor Andreas Pott zur Genese und Epistemologie der Geographischen Migrationsforschung sowie einer Podiumsdiskussion zu Möglichkeiten und Limitationen der oft geforderten „De-Essentialisierung von Raum und Migration“ stellte der Filmemacher und Forscher Charles Heller den eindrucksvollen Film „Liquid Traces“ vor – als politische Diskursintervention und neue Form der Wissensproduktion. Wie sich Repräsentationskritik und Kartographie vereinen lassen, demonstrierte der langjährige Kartograph der Le Monde Diplomatique, Philippe Rekacewicz, in einem Keynote-Vortrag mit dem Titel „The (almost) impossible cartography of migration“. Zu Beginn und zum Abschluss der Sommerschule hatten die über 80 TeilnehmerInnen außerdem die Gelegenheit, in kleinen Arbeitsgruppen sowohl die Inhalte der Workshops und Vorträge zu diskutieren als auch in „Ideenwerkstätten“ weiterführende Projekte zu entwickeln und Netzwerke zu knüpfen.2
Im Folgenden geben wir einen Einblick in die Vielfalt der Workshops und Diskussionen auf der Sommerschule, die sich in vier thematischen Clustern zusammenfassen lassen.
Themen und Inhalte der Workshops
Migration und Stadt
Ohne Migration gäbe es keine Städte, MigrantInnen sind ein integraler Bestandteil der Stadt(-gesellschaft). Dennoch werden Migration und MigrantInnen in der Stadtforschung noch zu oft als isolierte Gegenstände betrachtet, als seien sie etwas der Stadt Äußerliches. Vor diesem Hintergrund beschäftigten sich mehrere Workshops mit der Beziehung von Migration und Stadt. Sie arbeiteten die Bedeutung raumbezogener Identitätskonstruktionen auf ganz unterschiedlichen Ebenen heraus.
Während ein Workshop („Cities of Migration“) die Rolle von Migration in der europäischen Stadtgeschichte rekonstruierte und dabei untersuchte, wie sich Migration in Stadtlandschaften und urbane Ökonomien einschreibt, nahm ein anderer die aktuellen Diversitätspolitiken, die versuchen, migrationsinduzierte Vielfalt als Potenzial der Stadtentwicklung zu nutzen, zum Ausgangspunkt. Das Konzept wurde kritisch und in Hinblick auf die Auswirkungen auf eine Politik der Teilhabe diskutiert. Der dazu verwendete Begriff der Post-Migration zielt auf gelebte Mehrfachzugehörigkeiten und -identitäten jenseits der Dichotomisierung von „autochthon“ und „migrantisch“, womit nicht zuletzt die Frage der Legitimation einer eigenständigen Migrationsforschung aufgeworfen ist. Der Spezifik religiöser Identitätslinien widmete sich ein weiterer Workshop. Er fragte nach den pluralen religiösen Praktiken und Argumenten, die die städtische, post-säkulare Gesellschaft strukturieren.
Die konzeptionellen Debatten über die De-Essentialisierung von Raum und Migration wurden von einer Workshop-Gruppe auf das klassisch-geographische Erhebungs- und Visualisierungsformat der Stadtexkursion bezogen: Ausgehend von der Annahme, dass auf Exkursionen vor allem das aufgesucht und beobachtet wird, was vorher schon erwartet wurde, diskutierten und erprobten die Teilnehmer_innen alternative Formen des kollektiven Erlebens und Sehens von gesellschaftlichen Prozessen in der Stadt.
Flucht und Asyl vor Ort
Einen zweiten Themenschwerpunkt der Sommerschule stellten die Produktion der Figur des „Flüchtlings“ und lokale Praktiken des Asyls dar. Mit diesem Fokus sollte verdeutlicht werden, dass die Identität „Flüchtling“ nicht nur durch internationale Abkommen, Behörden und Verfahren auf der nationalen Ebene bestimmt wird, sondern stets auch durch eine Vielzahl von Akteuren „vor Ort“. In und mit den Kommunen werden soziale Bedeutungen, Umgangsformen, konkrete Lebensbedingungen sowie die folgenreichen Verknüpfungen unterschiedlicher Maßstabsebenen ausgehandelt, die lange übersehen wurden.
Dass die (Migrations-)Forschung oft selbst Teil solcher Aushandlungsprozesse ist, wurde in einem Workshop am Beispiel der wissenschaftlichen Debatten um „Klimaflüchtlinge“ diskutiert. Dabei stand zum einen die Frage im Vordergrund, mit welchen Interessen und auf welche Weise Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Migration hergestellt werden. Zum anderen wurden Fragestellungen und künftige Konturen eines Forschungsfeldes herausgearbeitet, die eine kausale Korrelation zwischen Umweltänderungen und Migration nicht bereits voraussetzen.
Im Workshop „Lokale Migrationsregime – Flucht und Flüchtlinge vor Ort“ ging es um das Zusammendenken diskursiver Konstruktionen von Identitäten und Geographien der Flucht mit der Materialität spezifischer Orte als Schauplätze von Aushandlungen der Aufnahme, Unterbringung und Integration von Asylsuchenden. So kann beispielsweise Lampedusa als symbolischer Platzhalter für eine verfehlte europäische Flüchtlingspolitik verstanden werden, aber auch als ein Ort, an dem Menschen leben, ankommen, sich begegnen, an dem sie stranden oder durch den sie durchreisen. Dass auch fernab der europäischen Außengrenzen der Zugang zur EU ausgehandelt wird, verdeutlichte ein Workshop zu Protesten gegen Abschiebungen von AsylbewerberInnen. Dabei wurden Ergebnisse des DFG-Forschungsprojektes „Taking sides – Anti-Abschiebeproteste in Österreich, Deutschland und der Schweiz“ vorgestellt sowie Fragen der lokalen Verortung und Möglichkeiten der Kartierung dieser Proteste diskutiert.
Gemeinsam war den Workshops, dass sie nicht nur spezifische lokale Eigenlogiken und Materialisierungen von Aushandlungsprozessen um Flucht und Asyl zum Thema machten, sondern auch ihre Einbettung in ein europäisches Grenz- und Mobilitätsregime verdeutlichen konnten.
Das Europäische Grenzregime
Während das Film-Projekt von Charles Heller zeigte, dass die Konzeption der EU-Grenze in Form einer Linie nicht länger haltbar ist, fragte der Workshop zum Racial Profiling nach den (gewaltsamen) Praktiken ihrer Vervielfältigungn. Eine andere Gruppe widmete sich methodischen Aspekten der Grenzregimeanalyse.
Der Film „Liquid Traces“ fasst die Ergebnisse eines Forschungsprojektes zum sogenannten „Left-to-Die Boat“ zusammen.3 Mithilfe von Satellitenbildern und Interviews mit Überlebenden haben Charles Heller und Lorenzo Pezzani rekonstruiert, wie im Jahr 2011 Flüchtlinge aus Libyen in Seenot im Stich gelassen wurden – trotz mehrmaliger Hilferufe und Begegnungen mit anderen Booten. Durch ihre Recherchen konnten Heller und Pezzani zeigen, wie in einem der meistbewachten und meistbefahrenen Meere der Welt ein Boot über 14 Tage lang in tödlicher Drift ignoriert wurde. Mit ihrem Material haben sie Nichtregierungsorganisationen unterstützt, Anklage gegen diejenigen zu erheben, die sich darauf verließen, dass das Meer die Spuren ihrer unterlassenen Hilfeleistung verwischen würde.
Dass Grenzen keine dem Sozialen vorgängige räumlich-territoriale Gegebenheiten, sondern sozial konstruierte, umkämpfte und nicht an physisch-materielle Erdraumstellen gebundene Phänomene sind, die überall produziert werden und an unterschiedlichsten Stellen ihre Ordnungs-Macht entfalten können, wurde im Workshop über die „Grenzen im Inneren“ deutlich. In diesem Workshop wurde anhand der Themen „Racial Profiling“ und „(Un-)Gleichheit vor dem Recht“ gezeigt, dass die „europäische Grenze“ nicht nur im Mittelmeer, sondern z.B. auch im Zug zwischen Frankfurt a.M. und Kassel ausgehandelt wird. Die TeilnehmerInnen des Workshops erarbeiteten, wie und auf welcher rechtlichen Basis Bundes- und Landespolizei in Deutschland rassistisch markierte Körper ins Visier anlassloser Kontrollen nehmen und wie diese Praktiken in diskriminierende Kontrollregime sowie rassistische Strukturen eingebettet sind. Außerdem wurden Aufgaben und Möglichkeiten einer kritischen Wissenschaft bei der Identifizierung und zur Überwindung solcher Strukturen erörtert.
Position beziehen und über die eigene Position reflektieren wollten auch die ForscherInnen der Transit Migration Forschungsgruppe, die die Methode der „ethnographischen Grenzregimeanalyse“ zur Erforschung der Kontrolle von Grenzmobilität entwickelten. Mit dem Regimebegriff wollten sie sowohl den undemokratischen Charakter der Regierung der europäischen Außengrenzen unterstreichen als auch deutlich machen, dass nicht nur staatliche, sondern multiple Akteure, einschließlich der MigrantInnen selbst, an der Aushandlung von Grenzen beteiligt sind. Die Entstehung der Methode sowie ihre Anwendung und Weiterentwicklung wurden auf der Sommerschule vorgestellt und diskutiert.
Migration und Wissensproduktion
Die angestrebte Selbstreflexivität im Forschungsprozess verweist auf die Bedeutung der Wissensproduktion im Feld der Migration im Allgemeinen: Unzählige Akteure schaffen beständig neue Wissensformationen über das, was wir als Migration beschreiben, über die, die wir als Migrant_innen verstehen, und über die unterschiedlichen Folgen von Migrationsprozessen. Dabei sind die Grenzen zwischen wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher Wissensproduktion oft fließend. Wie während der Sommerschule gezeigt werden konnte, ist das migrationsbezogene Wissen immanenter Bestandteil von Migrationspolitiken:
So behandelte ein Workshop die unter anderem durch die Migrationsforschung produzierten Zahlenwerke, statistischen Befunde und Kosten-Nutzen-Kalküle, um die alltägliche Wissens(re-)produktion im Feld der Migration zu hinterfragen. Ein anderer Workshop zeichnete Kartographien des Grenzregimes nach, um aufzuzeigen, welche Akteure auf welche Weise mit Karten Politik machen, wie dabei MigrantInnen überhaupt erst definiert und Migrationsprozesse als eigenständige und zumal problematisierte Phänomene konstruiert (bzw. gezeichnet, errechnet) werden. Jenseits dieser Rahmungen ermöglichen und speisen statistisches wie kartographisches Wissen Agenden und Praktiken (inter-)staatlicher Behörden. Mit dem Fokus auf Integration als der „anderen Seite“ des Migrationsphänomens wurden in einem weiteren Workshop die Formen der politischen Steuerung, die sich in kommunalen Leitbildern und Aktionsplänen zur Integration wiederfinden lassen, analysiert.
Prozesse der Wissensproduktion und die Regierung von Migration verband ein Workshop gleich in zweifacher Hinsicht: Sein Fokus lag auf der internationalen studentischen Migration, die im Kontext einer mobilitätsinduzierenden globalen Wissensökonomie interpretiert wurde. Mit dem Ermöglichen, Einfordern und In-Wert-Setzen ausgesuchter Migrationsprojekte (hier: studentische Bildungsmigration) wird zugleich ein Raum globaler Wissensproduktion geschaffen.
Die Verbindung zur theoretischen Wissensproduktion stellte ein Workshop zur Entscheidungskraft von Migrationstheorien her, in dessen Mittelpunkt die für große Teile der Migrationsforschung bedeutsame Kontroverse zwischen Assimilationisten und Transnationalisten stand. Erörtert wurden die erkenntnistheoretisch und wissenschaftsethisch wichtigen Fragen der Auswahl von Bezugsproblemen, der theoretischen Begründbarkeit und der Form wissenschaftlicher Auseinandersetzungen.
Zu den im Verlauf der Sommerschule durchgehend diskutierten Themen gehörte die Problematik der Verdinglichung von Migration, vor der auch die wissenschaftliche Wissensproduktion – die wissenschaftlichen Ansätze, Untersuchungsperspektiven, Ergebnisse und Empfehlungen – nicht gefeit sind. Hierauf soll nachfolgend eingegangen werden.
Geographische Migrationsforschung – zwischen Dekonstruktion und gesellschaftspolitischem Engagement
„Pfeile sind bei der Darstellung von Migration irreführend“, erklärte Philippe Rekacewicz: Die scheinbar wissenschaftlich-neutrale Repräsentationsweise der Karte ist immer mit politischer Bedeutung aufgeladen, sie beschreibt Migration als Ausnahmephänomen und als Invasion in Territorien, deren Bevölkerungen ansonsten homogen und sesshaft erscheinen. Rekacewicz zeichnet seine Karten daher am liebsten per Hand, damit deutlich wird, dass jede Karte eine_n AutorIn hat und von einem bestimmten Standpunkt aus hergestellt wurde. Mit der Ironisierung der für Migrationskarten charakteristischen Pfeile wie im eingangs gezeigten Bild verweist Julie Béna auf ihre Wut, wenn es um die europäische Migrationspolitik geht. Auf die Frage, welche Form Europa hat, antwortete sie zunächst mit einer „carte froissée“, einer zerknitterten, wütenden Karte, die sie dann in „upstream“ in eine um die Wut wissende Karte übersetzte, deren Pfeile die Objekte der Wut zu umgehen wissen.4 Ausgehend von dieser politischen Positionierung dekonstruiert Béna klassische Vorstellungen von Migrationsprozessen und kann eine Geographische Migrationsforschung dazu anhalten, Räume und Wanderungen nicht als behälterförmige Rahmungen oder als beobachtungsunabhängige Objekte zu untersuchen, sondern als Bestandteile und Produkte gesellschaftlicher Reproduktion.
Philippe Rekacewicz zeigt mit seiner Arbeit, dass politisches Engagement und repräsentationskritische Überlegungen nicht mit der Dekonstruktion enden müssen. Vielmehr ist im Rahmen der „Radikalen Kartographie“5, die auf die Schaffung kritisch-produktiven Wissens zielt, eine produktive Aneignung von Techniken und Formen der objektivistischen Kartographie möglich: Rekacewicz‘ Karte (Abb. 4), die die Zahl von Todesopfern des Europäischen Grenzregimes zeigt, bedient sich der klassischen Elemente der politischen Karte, verweist in ihrer graphischen Gestaltung aber auf ihr Gemacht-Sein, visualisiert Migrationsprozesse ganz ohne Pfeil und popularisiert insofern ein Gegenwissen, als hier die aufscheinenden Grenzen und nicht die MigrantInnen als Gefahr und Problem erscheinen. Die Abwesenheit von gängigen Bezugspunkten, von Grenzen und Territorien im einen und von Pfeilen im anderen Fall, werfen uns als BetrachterInnen auf die stets zu erbringende Interpretationsleistung – sowohl bei der Definition als auch bei der Beobachtung von Gegenständen – zurück.
Damit verdeutlichen beide Ansätze die Verantwortung von Migrationsforschung: In einem derart politischen Feld wie der Migrationsforschung ist die Reflexion der eigenen Position und oftmals auch die Verortung der Forschung in politischen Diskursen notwendig!
Sommerschule – und dann?
Was bleibt von der diesjährigen Sommerschule? Die große Resonanz und die Teilnahme von über 80 Studierenden und Promovierenden aus dem In- und Ausland belegen, dass das Interesse an diesem Format ungebrochen ist. Über die Fortführung der Reihe „Humangeographische Sommerschulen“ und mögliche Themenschwerpunkte in den kommenden Jahren wird bereits nachgedacht. Für die nächsten Sommerschulen bleibt zu wünschen, dass sie noch expliziter als die vergangene gender- und postkoloniale Perspektiven aufgreifen werden. Ob dabei wieder auf die in unseren Augen sehr produktive Struktur ganztägiger Workshops zurückgegriffen wird, wird sich zeigen. Termin und inhaltlicher Fokus der nächsten Sommerschule werden sicherlich noch im Laufe dieses Jahres 2015 bekanntgegeben.
Besonders gefreut haben wir uns auch über das große Interesse vieler TeilnehmerInnen an neuen Vernetzungen und über die Sommerschule hinausgehenden Projekten. So fand sich spontan eine Gruppe, die ein Programm für eine der nächsten Tagungen des AK Geographische Migrationsforschung vorbereiten möchte, um unter der Perspektive „(Ent-)Grenzen der geographischen Migrationsforschung“ explizit neue, transdisziplinäre Sichtweisen aufzuzeigen. Das Interesse an der Verknüpfung von wissenschaftlicher Forschung und politischem Engagement brachte andere TeilnehmerInnen unter dem Schlagwort der „Aktionsforschung“ zusammen. Sie möchten an diesbezüglichen theoretischen, aber insbesondere auch methodischen Ansätzen weiter arbeiten. Die Diskussionen in verschiedenen Segmenten der Sommerschule zur Kartierung und Visualisierung von Migration mündeten schließlich in der Vernetzung einiger TeilnehmerInnen, die standortübergreifend an und mit Karten weiterforschen und dabei auch neue Karten zeichnen möchten. Gemeinsam ist diesen auf der Sommerschule entstandenen Initiativen der Wunsch nach einer noch stärkeren Öffnung der Geographischen Migrationsforschung. Dies betrifft sowohl die Überschreitung und vielleicht sogar Überwindung von Disziplingrenzen als auch den Einbezug nicht-universitärer Akteure. Auch im Hinblick auf die Techniken der außerwissenschaftlichen Vermittlung von migrationsbezogenen Fragestellungen und Erkenntnissen und somit auch bezüglich der Medien, die bei der Kommunikation wissenschaftlicher Analyseergebnisse eingesetzt werden, sollen gemeinsam neue Wege gefunden werden. Dass die Sommerschule auch in dieser Hinsicht für viele TeilnehmerInnen anregend war und neue Engagements initiiert hat, bestätigt das sehr positive Feedback der Veranstaltungsevaluation.