„Oldschool“ oder „Rabenmutter“ – die Frage der Kinderbetreuung ist nach wie vor ein schwieriges Thema
„Oldschool“ oder „Rabenmutter“ – die Frage der Kinderbetreuung ist nach wie vor ein schwieriges Thema
Genau dieses „Abarbeiten“ eines vollkommen durchstrukturierten Alltags war Bettina zu viel: Sie hat gespürt, dass sie nicht sofort weitermachen konnte und wollte sich nicht gleich zwischen so vielen „Feldern“ zerteilen müssen. Trotzdem bewundert sie alle, die das können und wollen. Sie selbst ist drei Jahre zuhause geblieben. Nichtsdestotrotz räumt sie ein, dass man durch eine lange Auszeit so manche Schwierigkeiten im Studium bzw. in der Promotion nur aufschiebt. Annika gab ihre Tochter mit 1½ Jahren auch aus dem Grund in die Krippe, da sie merkte, dass sie als Eltern ihr nicht mehr genug Abwechslung bieten konnten um ihre Neugier befriedigen zu können.
Die Meinungen bezüglich Kinderbetreuung gehen hier leicht auseinander, aber sie sind sich einig: Diese Entscheidungen sind einige der schwersten, die man mit sich selbst und seinem/r PartnerIn auszumachen hat, führen zu vielen Diskussionen und sind vor allem Typsache. Sofrony und Nora können sich nicht vorstellen, länger als etwa ein halbes Jahr nur zuhause zu sein, sie brauchten dringend wieder Ansprache, „intellektuell fehlte einfach was“. Jede/r der DiskutantInnen hat einen individuellen Weg gefunden was Erziehungspause(n) und die Entscheidung, wie früh man ein Kind z.B. in eine Kinderbetreuung gibt, betrifft. Nora und ihr Partner holten etwas später noch Elternzeit nach, waren ein Jahr mit den Kindern im Ausland (wo diese auch zur Schule gingen), legten dort eine Pause ein nach den anstrengenden letzten Jahren. Tim, dessen Sohn jetzt sechs Jahre alt ist, hat das zweite halbe Jahr nach der Geburt pausiert und später nochmal ein Jahr, als die ganze Familie in Kanada war. Dort konnte er sowieso nicht arbeiten und hat somit die Zeit sinnvoll nutzen können. Er meint: „Es gibt immer wieder Phasen, in denen man das Kind mehr nach draußen lässt und Phasen, in denen man extrem viel Zeit mit ihm verbringen will. Die wird es geben, bis es aus dem Haus ist. Das muss man also ganz individuell entscheiden.“ Neben persönlichen Präferenzen und Bedürfnissen spielen also auch immer momentane berufliche Situationen und Zielsetzungen eine Rolle bei der Entscheidung, wann man wie lange pausiert oder das Kind in die Krippe gibt. Zum Beispiel, dass man eine Arbeit noch zu Ende bringen möchte oder muss bevor man Pause einlegt, oder ein Ortswechsel geplant ist. Oder der/die PartnerIn viel arbeiten muss, man die „Kinderorganisation“ fast komplett alleine übernehmen muss, aber trotzdem selbst vorankommen möchte, die Großeltern nicht in der Nähe wohnen, man Auslandsaufenthalte unterbringen muss oder will; die finanziellen Möglichkeiten und viele andere Faktoren spielen bei dieser Entscheidung eine Rolle. Zudem lassen sich freilich nicht alle Kinder über einen Kamm scheren, einige brauchen mehr Abwechslung und andere Kinder um sich herum, andere weniger oder zu anderen Zeitpunkten. Nicht zuletzt hat das Glück oft mehr Einfluss als einem lieb ist, nicht alles liegt einem selbst in der Hand und man ist oft davon abhängig, ob, vor allem in Hinblick auf Jobsuche, alles nun so klappt, wie man es sich wünscht.
Eines ist bei dem Thema „Kind in die Krippe“ ja fast vorprogrammiert: man kommt auch auf die gesellschaftliche Akzeptanz bzw. Zwiespältigkeit dieser Entscheidung zu sprechen. Bettina wirft die Frage auf, ob Frauen ihr Kind schon früh in eine professionelle Kinderbetreuung geben sollten? Dabei wird von den DiskutantInnen nicht wirklich geklärt, was „früh“ für sie jeweils bedeutet. Bettina findet: Obgleich gesellschaftlich mittlerweile angesehen, muss das nicht sein, nur um unbedingt seinen Studien- oder Promotionsplan einzuhalten. Schließlich bekommen die meisten von uns nicht allzu viele Kinder im Leben. Auch die Väter erkennen die Schwierigkeit an der Lage: Sofrony bringt als erster die Sprache auf diese gesellschaftliche Debatte und den Druck, der auf Frauen dabei wirkt. Christian formuliert treffend: „Entweder man gilt als Oldschool oder als eine Rabenmutter.“ Während man es als Frau scheinbar niemandem recht machen kann, haben es laut Sofrony „die Männer hingegen schwer, es keinem recht zu machen“: Entweder man ernte Anerkennung, weil man sich viel um sein Kind kümmert oder weil man finanziell für die Familie sorgt.
Nun ist es ja mit Studium und Promotion meistens so, dass man das nicht in seiner Heimatstadt oder -region tut. Das heißt somit auch nicht unbedingt auf die Nähe der Großeltern bauen kann. Es herrscht Konsens, dass durch Familie vor Ort vieles mehr möglich ist, vor allem was persönliche Freiräume angeht. Für Nora hat es sich ausgezahlt, nach dem Bachelor in Passau wieder in Richtung ihrer Familie zu ziehen, obwohl sie auch sieht, dass man sich dadurch mit noch mehr Personen absprechen muss und von ihnen abhängig ist. Bei den meisten Anwesenden helfen die Eltern aber trotzdem so gut es geht, nehmen sich auch ab und zu mal frei, um ihre Kinder mit den Enkeln zu unterstützen.
Von Exkursionen und anderen Besonderheiten in der Geographie
Wie schon erwähnt zeichnen sich Studium und auch Promotion durch mehr Freiräume und Flexibilität aus, allerdings sind auch Dinge unterzubringen, die in anderen Berufsfeldern wegfallen oder nicht so viel Gewicht haben: Exkursionen, Konferenzen und Forschungsaufenthalte im Ausland. Auch hier müssen individuelle Lösungen gefunden werden: Bettina hat ganz einfach Mann und Kind auf ihre Alpenexkursion mitgenommen, was wunderbar funktioniert hat. Sie lobt, dass so etwas unproblematisch möglich ist. Auch Corinna findet die Dozierenden der Geographie äußerst familienfreundlich. Ihr wurde sogar angeboten, die Familie mit auf Exkursion zu nehmen und sie war hochschwanger während ihrer Feldforschung in Botswana. Christian war für einen Forschungsaufenthalt in Israel. Dadurch, dass seine Partnerin noch Elternzeit hatte, konnte die ganze Familie die Zeit dort gemeinsam verbringen. Allerdings wird man durch ein Kind bei solch einer Unternehmung in mancher Hinsicht auch etwas „ausgebremst“, man könnte eben noch mehr Interviews führen, mehr Orte besuchen etc. Doch diese örtliche Flexibilität hat man seiner Ansicht nach in anderen Berufsfeldern nicht – muss man aber auch in jenen nicht unbedingt. Gleichzeitig dämpfen er, Nora und Sofrony aber auch die Euphorie um Kinder auf Exkursionen ein wenig – denn in erster Linie sind Exkursionen Lehrveranstaltungen, von denen man etwas mitnehmen möchte und sollte. Der Lerneffekt ist also ohne Kind auf Exkursion deutlich größer, man kann wieder einmal ganz „nur StudentIn sein“ und alles für sich in Ruhe erleben. Natürlich nur mit großem Organisationsaufwand für die Kinderbetreuung zuhause. Außerdem ist es auch eine Kostenfrage, ob man sein Kind überhaupt mit auf eine Exkursion nehmen kann. Und nicht zuletzt sollte man überlegen, ob das Ganze sinnvoll und gut für die Kinder ist, denn Exkursionen sind meist straff durchorganisiert und anstrengend, sodass man den Bedürfnissen eines Kindes nicht unbedingt gerecht wird, wenn man täglich zehn Stunden durch eine Großstadt unterwegs ist. Ob Exkursionen mit Kind sinnvoll sind, kommt jedoch immer sehr stark auf die jeweilige Exkursion und auch das Alter des Kindes an.
Was Konferenzen und Tagungen angeht, merkt Christian an, dass man meist nur mehr „Dienst nach Vorschrift“ absolviert, also möglichst schnell wieder nach Hause fährt anstatt noch ein paar Tage dranzuhängen oder (wenn das Kind bei Bekannten untergebracht ist) das Abendprogramm wahrzunehmen, somit Gelegenheiten zum ‚Networking‘ seltener werden. Sofrony selektiert mehr als früher, zu welchen Konferenzen er fährt und macht hier und da Abstriche, fährt nicht zu allem, was ihn interessieren würde. Konferenzen finden nun mal an Wochenenden statt und das ist manchmal die einzige Gelegenheit in der Woche, intensiv Zeit mit der Familie zu verbringen.
Gibt es nun bezüglich der Toleranz von Kindern und Schwangeren Unterschiede zwischen Universitäten und Instituten? Das Erlanger Geographische Institut wird von den DiskutantInnen durchweg positiv beurteilt: Dozierende seien sehr familienfreundlich, böten einem Lösungen und Vorschläge an und es sei fast nie ein Problem, Kinder mit zu Veranstaltungen zu nehmen. Sandra sagt: „Es werden viele Ausnahmen gemacht und Rücksicht genommen – und das, ohne dass ich fragen oder darum betteln muss.“ Von anderen Fakultäten hat sie gehört, dass dort insgesamt einfach weniger Rücksicht genommen würde. Die Dozierenden aber auch andere Angestellte in der (Erlanger) Geographie seien sehr aufgeschlossen gegenüber Studierenden mit Kindern und schwangeren Frauen. Nora hat in ihrem Bachelorstudium an einer anderen Universität weniger Rückhalt innerhalb des Instituts erfahren: Sie musste trotzdem manche Fristen einhalten, bekam keine Verlängerungen wenn mal ein Kind krank war oder wegen ihrer Schwangerschaft. Diese Kulanz in Erlangen lobt sie sehr. Christian hat sogar das Gefühl, dass sein Kind am Institut eher eine Aufwertung für ihn bedeutet. „Man wird anders wahrgenommen, es ist nicht so dass ich Probleme bekomme, im Gegenteil – vieles wird einfacher!“ So werden zum Beispiel Eltern immer zuerst gefragt, wenn es um die Zeitplanung von Lehrveranstaltungen geht, man gerate bei vielem „ein bisschen aus der Schusslinie“. „Ich habe mich im Studium immer gut gefühlt hier“, sagt auch Corinna mit einem zufriedenen Ton in der Stimme.
Kind und Karriere in der Wissenschaft
Nach diesen erfreulichen Erfahrungen werden nun doch noch die eher negativen Seiten des Eltern-Daseins in Bezug auf Karriere und Gesellschaft beleuchtet. Corinna entgegnet Christian, sie habe zumindest auf der Arbeit immer das Gefühl, sie müsse sich rechtfertigen, wenn sie am frühen Nachmittag geht. Das Verständnis für Eltern reiche nur bis zu einem gewissen Grad, was sie in anderen Ländern besser akzeptiert sieht. Sie sagt auch: „Früher habe ich blauäugig gedacht: Kind und Karriere, das geht schon! Heute kann ich darüber nur lachen, bzw. wächst der Druck enorm, trotz der Freiheiten, die unsere Mütter und Großmütter nicht hatten.“ Christian gibt zu, dass diese Situation für Männer (noch) eine einfachere ist, da Frauen mit Kind als etwas normales angesehen würden, Männer mit Kind dagegen als eine „tolle Sache“. Nichtsdestotrotz könne auch er ohne Kind besser promovieren, insofern stelle ein Kind schon auch für Männer ein gewisses Hemmnis dar.
Vor allem bei und nach der Promotion und der Arbeit in der Wissenschaft ergeben sich gewisse Schwierigkeiten, die so nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind. Bei einer Promotion mit Drittmitteln zum Beispiel ist rechtlich oft nicht geklärt, wer die Bezahlung einer Elternzeit übernimmt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) tut das, jedoch ist das längst nicht bei allen Institutionen, die Drittmittel vergeben, so geregelt. Generell gibt es bei befristeten Verträgen das Problem, dass diese sich nicht um die Elternzeit verlängern, sondern der/die ArbeitgeberIn immer das Risiko trägt, dass jemand in Elternzeit geht, während die Projektlaufzeit verstreicht. Dies führt laut Sofrony – zumindest solange hauptsächlich Frauen Elternzeit nehmen – bisweilen auch zu Geschlechterdiskriminierung von Frauen, ist aber generell ein Problem aller Eltern. Björn fragt sich, wie man in der Wissenschaft aber von befristeten Arbeitsverträgen für Projekte wegkommen soll und sieht da eigentlich keine Möglichkeit. Der Gesetzgeber sei hier gefordert, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Er empfiehlt außerdem, sich für ein Promotionsstipendium zu bewerben, hier kann man drei Monate für eine in Anspruch genommene Elternzeit dranhängen, in denen zwar der Förderungsbetrag etwas geringer ist, aber immer noch „über dem Grundeinkommen“ liege. Immerhin gibt es hier überhaupt eine klare Regelung für diesen Fall.
Cosima kommt es oft so vor, als solle man zwar Kinder bekommen, was aber durch allzu schwierige Rahmenbedingungen fast unmöglich gemacht wird. Sofrony empfindet das nicht so drastisch, hat aber auch das Gefühl: Man soll zwar Kinder bekommen, aber bitte nicht so lange pausieren, sich (als Frau) eher an dem klassischen Männerbild orientieren was die Berufstätigkeit angeht. Auch Christian findet, alleine durch den Rahmen dieser Diskussion (Kinder trotz Studium, wie er es hier formuliert) merke man schon, es sei gesellschaftlich sozusagen vorprogrammiert, dass einem ein Kind in gewisser Weise beruflich „einen Knüppel zwischen die Beine“ werfen wird. Genau bei dieser Entscheidung fange der Druck schon an, vor allem dann, wenn eine Karriere an der Universität in Erwägung gezogen wird. Vielleicht kann man mit Kind genauso gut promovieren wie ohne, jedoch haben Personen ohne Kinder viel mehr Zeit, sich „ein Label zu schaffen“. Nach der Promotion konkurriert man mit anderen Menschen, die ebenfalls promoviert haben, aber „nebenher“ viel mehr Zeit hatten zu forschen, zu publizieren, zu bloggen und sich somit einen Namen zu machen. Christian: „So funktioniert das Spiel, und mit Kind hat man eben weniger Möglichkeiten, da mitzuspielen.“ Sofrony stimmt zu, ergänzt aber, dass dies nicht nur in der Wissenschaft so sei, sondern in allen Arbeitsfeldern, die sehr von Wettbewerb geprägt sind. Man müsse oder könne schon gegen diesen „Wettbewerbsnachteil“ arbeiten, es sei aber schwierig.
Cosima erwähnt auch die besondere Schwierigkeit, die besteht, wenn beide Partner in der Wissenschaft Karriere machen wollen, sich „ein Label schaffen“ wollen, mit dem man nun einmal nicht überall eine Stelle findet und sehr spezialisiert ist. Dadurch fände eine starke örtliche Fragmentierung von Familien statt, außer man gehe große Kompromisse ein und einer von beiden gibt die wissenschaftliche Karriere auf, nachdem man allerdings durchaus acht bis zehn Jahre an der Uni verbracht hat. Von daher kann man sich glücklich schätzen, wenn der/die PartnerIn nicht in der Wissenschaft tätig ist und bei einem eventuellen Umzug leichter eine Stelle findet.
Nora sieht diesen „Wettbewerbsnachteil“ nicht so tragisch bzw. müsse es nicht unbedingt ein Nachteil für die Karriere sein, könnte diese aber verzögern. Sofrony wendet aber ein, das Problem hierbei sei, dass man nach der Promotion nur sechs Jahre an der Uni arbeiten darf, danach muss man entweder habilitieren oder sich Arbeit außerhalb der Universität suchen. In dieser Zeit hätten andere WissenschaftlerInnen ohne Kinder eben den Wettbewerbsvorteil, mehr Leistungen und Publikationen erbringen zu können. Darauf ein scherzhafter Kommentar: „Das spricht wiederum dafür, möglichst früh im Studium Kinder zu bekommen!“
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