Die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte im mittelfränkischen Vorra haben uns entsetzt und verdeutlichen die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit politisch motivierter Gewalt gegenüber Flüchtlingen und Menschen, denen Migrationshintergrund zugeschrieben wird. Wir schließen uns den jüngsten Solidaritätsbekundungen an und fordern zu einer verstärkten Diskussion über Gewalt und Rassismus – sowohl innerhalb der Hochschulen, als auch in der breiteren Öffentlichkeit – auf. Brennende Unterkünfte und rechtsextreme Aufmärsche erinnern auf erschreckende Weise an die massiven Angriffe der 1990er Jahre. Diese offenbarten schon damals einen Mangel an politischer, institutioneller und öffentlicher Auseinandersetzung und waren leider nur die Spitze eines viel größeren Eisbergs von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.
Als GeographInnen verfolgen wir aufmerksam Prozesse rund um Migration, Territorialität und BürgerInnenschaft. Dabei verstellen die gegenwärtig sehr präsenten Bilder von Flüchtlings-‚Strömen‘ und die Diskussion zu einer angeblich begrenzten Aufnahmekapazität Deutschlands den Blick auf die tatsächlichen Prozesse von Flucht und Migration. Solche verkürzten und einseitigen Darstellungen können ein Klima der Fremdenfeindlichkeit erzeugen, das in der Folge sowohl Gewaltakten – wie den Brandanschlägen von Vorra, Germering1 und Groß Lüsewitz2 – als auch breiteren Ressentiments und Bewegungen wie Pegida und in Bayern Bagida Vorschub leistet. Angesichts weit verbreiteter Bestrebungen, Ängste vor Überfremdung zu schüren, ist eine Diskussion der Bedingungen des räumlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens wichtiger denn je. Diese Diskussion darf den Blick nicht auf die Belastungen der europäischen Aufnahmeländer verengen.
Wenn etwa von einer Überforderung der Kommunen hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen die Rede ist, dann sollte zugleich das Schrumpfen kommunaler Haushalte und die ungenügende staatliche Förderung von Flüchtlingsunterkünften thematisiert werden. Wenn von einem Anstieg der AsylbewerberInnenzahlen gesprochen wird, sollte zugleich die starke Einschränkung des Asylrechts seit den 1990er Jahren und die Reduzierung bewilligter Asylanträge nicht aus den Augen verloren werden. Wenn die große Aufnahmeleistung Deutschlands im europäischen Vergleich betont wird, so erscheint diese in einem anderen Licht, wenn man den Blick auf die Flüchtlinge richtet, die in weit größerem Umfang in ärmeren Ländern wie dem Libanon und Jordanien aufgenommen wurden. Doch auch in grundlegenderer Weise ist die rein nationalökonomische Unterscheidung zwischen anscheinend die Sozialsysteme belastenden Flüchtlingen einerseits und den begehrten hochqualifizierten MigrantInnen andererseits zu hinterfragen. Inwiefern sind für uns Bewegungsfreiheit, ökonomische und soziale Sicherheit sowie Solidarität eigenständige gesellschaftliche Werte? Wie sieht gesellschaftliches Handeln aus, das auf deren Umsetzung in lokalem, nationalem und globalem Maßstab abzielt? Und welche globale Verantwortung hat ein Staat wie die Bundesrepublik angesichts ihres andauernden wirtschaftlichen Nutznießens von der abhängigen Entwicklung der Länder des Südens?
Uns geht es weder um Anklagen noch um Schuldzuweisungen, sondern um eine öffentliche Debatte, die den realen Bedingungen von Flucht, Migration und Bürgerschaft gerecht wird und auf ein Zusammenleben ohne rassistische Ausgrenzung hinarbeitet. Die jüngsten Bekundungen hochrangiger PolitikerInnen für eine menschenwürdige Unterbringung und gegen rechtsextremistische Einstellungen weisen in die richtige Richtung, schürfen aber zumeist nur an der Oberfläche weit gespannter gesellschaftlicher Prozesse. Eine Politik der Abgrenzung und Ausweisung, die mit diesen Bekundungen oft Hand in Hand geht, schafft selbst neue Formen der Marginalität und Vulnerabilität, etwa wenn Flüchtlinge isoliert und ohne Möglichkeit eigenen Gelderwerbs untergebracht werden. Eine solche Politik blendet darüber hinaus die Ursachen von Flucht und Verfolgung sowie die eigene mögliche Verstrickung in diese Ursachen aus. Neben den ökonomischen Ungleichheiten, die in der neoliberalen globalisierten Wirtschaft zwischen Westeuropa und besonders afrikanischen und asiatischen Ländern produziert werden, sind dabei nicht zuletzt auch die umfangreichen Waffenexporte deutscher Unternehmen in Krisengebiete zu nennen. Nach wie vor zu wenig ernst genommen werden dabei auch die verbreiteten neonazistischen Strukturen und deren staatlich- institutionelle Duldung oder gar Unterstützung, was zuletzt im Kontext der NSU-Morde deutlich wurde. Nicht selten werden durch die gegenwärtige Politik gerade auch ziviles Engagement und bürgerschaftliche Teilhabe blockiert, die Flüchtlinge unter widrigen Bedingungen längst selbst organisieren. Ein solches Engagement haben etwa die refugees in Berlin-Kreuzberg gezeigt, indem sie ein aktiver Bestandteil des Stadtteils wurden und versuchten ein soziales Zentrum aufzubauen, in dem auch andere lokale AkteurInnen Raum finden.
Damit eine Auseinandersetzung mit diesen Prozessen stattfinden kann, wünschen wir uns neue Formen der Vernetzung und Öffentlichkeit, die quer durch bestehende Institutionen verlaufen. Die Berliner Alice-Salomon-Hochschule hat etwa Seminare in die Flüchtlingsunterkunft Berlin-Hellersdorf verlegt3. Das Studierendenparlament setzt sich an der Universität Bayreuth für die Möglichkeit des Besuchs von Deutschkursen und anderen Lehrveranstaltungen durch Flüchtlinge ein. StudentInnen der Universität Gießen haben gemeinsam mit Flüchtlingen Forschungsprojekte zu deren Unterbringungsbedingungen durchgeführt und eine städtische Debatte über das Erstaufnahmelager zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Universität in Gang gebracht. Martin Doevenspeck, Professor am Geographischen Institut Bayreuth, sprach am 4. Juni 2014 in einer öffentlichen Anhörung zum Rahmenthema „Flüchtlinge, Migration und Entwicklungspolitik“ im deutschen Bundestag, um auf ein differenziertes Verständnis der Lebensverhältnisse und Interessen von Flüchtlingen und MigrantInnen innerhalb der parlamentarischen Debatte hinzuwirken. In der Stadt Bayreuth, aber auch in kleineren Gemeinden im Landkreis engagieren sich darüber hinaus StudentInnen und BürgerInnen sowohl in Initiativen wie den Bündnissen „Bunt statt Braun“ und „KUnterBunT“ als auch in der Caritas und durch Sachspenden oder die Teilnahme an Demonstrationen.
Diese Initiativen können sowohl zu einem besseren Verständnis gegenwärtiger Prozesse von Flucht, Migration und politischer Regulierung beitragen als auch neue Formen der Öffentlichkeit erzeugen, die einseitigen und verkürzten Darstellungen entgegentreten. Sie verschieben den Blick von den konstruierten Szenarien der angeblichen Überfremdung hin zu den konkreten Bedingungen und Möglichkeiten solidarischen Zusammenlebens. Zu solchen Formen öffentlicher Auseinandersetzung möchten wir als GeographInnen beitragen und wir hoffen auf ihre Verstärkung in allen gesellschaftlichen Bereichen.