Kirche im Bergdorf von Thethi (Foto: Johannes Klein)

Sommerschule in Albanien: Grenzübergreifende Kooperation zwischen Albanien, Montenegro und Kosovo vor dem Hintergrund eines möglichen EU-Beitritts Albaniens.

Ein Beitrag von Tobias Weidinger & Johannes Klein aus der 9. Ausgabe von entgrenzt.

Die „Go East“-Sommer- und Winterschulen werden bereits seit einigen Jahren zu unterschiedlichsten Fragestellungen und in verschiedenen osteuropäischen Ländern vom Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD meist in Kooperation mit einer deutschen Hochschule durchgeführt. Das Programm zielt darauf ab, den Austausch insbesondere in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung zu intensivieren.

Vom 24.8. bis zum 06.09.2014 fand eine von den geographischen Instituten der Universitäten Tirana (Prof. Dr. Dhimiter Doka) und Bamberg (Prof. Dr. Daniel Göler) organisierte Sommerschule in Shkodra und Tirana (Albanien) statt. Während der 14-tägigen Veranstaltung setzten sich 17 Studierende aus unterschiedlichen Studien- und Fachrichtungen intensiv mit den Themen Geschichte, Bevölkerung und Migration, Wirtschaft sowie Stadt- und Regionalentwicklung des südosteuropäischen Landes auseinander. Im Fokus stand das Thema der grenzübergreifenden Kooperation Albaniens mit seinen Nachbarländern Montenegro und Kosovo vor dem Hintergrund des 2014 bestätigten Status Albaniens als offizieller EU-Beitrittskandidat.

Kirche im Bergdorf von Thethi (Foto: Johannes Klein)

Kirche im Bergdorf von Thethi (Foto: Johannes Klein)

Startpunkt der Sommerschule war die nordalbanische Stadt Shkodra an der Grenze zu Montenegro. Im Rahmen von Seminarsitzungen legten Referenten aus Wissenschaft und Politik (u.a. die Vizeministerin für Umwelt) fachliche Grundlagen hinsichtlich der oben genannten Themenbereiche. An den Nachmittagen folgten meist Gesprächstermine mit lokalen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Bedingt durch Grenzverschiebungen im Jahr 1912 lebt heute an allen Außengrenzen Albaniens mit Ausnahme der albanisch-griechischen Grenze eine große Minderheit ethnischer Albaner, sodass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht wie in anderen Grenzräumen Europas vor Herausforderungen wie Sprachbarrieren oder kulturelle Differenzen gestellt wird. Im Hinblick auf grenzüberschreitende Handelsströme ist der bereits kurz nach der Systemtransformation der kommunistischen Volksrepublik Albanien einsetzende, grenzüberschreitende Kleinhandel mit Montenegro zu erwähnen, der lokale Versorgungsengpässe mit Lebensmitteln überbrückte. Heute bestehen insbesondere im engeren Grenzraum mit Montenegro Verflechtungen durch Arbeitsplatz- und Ausbildungspendler sowie (Tages-)Touristen. In den letzten Jahren wurde außerdem ein gemeinsames Schutzgebietsmanagement für den an der Grenze gelegenen Shkodra-See initiiert, welches die Etablierung von Ökotourismus unter Berücksichtigung des Biodiversitätsschutzes zum Ziel hat. Möglich und verbessert wurden diese Annäherungen auf den unterschiedlichsten Ebenen nicht zuletzt auch durch politische Entscheidungen, die eine Annäherung der beiden Länder forcieren sollten. Dazu gehören u. a.: Memoranden zur Anerkennung von Führerscheinen und Universitätsabschlüssen sowie die Erleichterung der Grenzkontrollen, das Einrichten von Plattformen für den Informationsaustausch und das Einsetzen von Arbeitsgruppen und Kommissionen unter Einbezug der Zivilgesellschaft. Durch den Status als Beitrittskandidat ist die Akquise von europäischen Fördergeldern möglich und für einige Akteure zusätzliche Motivation, grenzüberschreitende Projekte zu initiieren oder weiter fortzuführen. Durch die Integration Albaniens in den europäischen Binnenmarkt werden sich, so Experten, die Handelsbeziehungen zu den Nachbarländern und EU-Mitgliedsstaaten Italien und Griechenland, die bereits heute wichtigste Handelspartner und Kapitalgeber sind, wohl weiter intensivieren. Für Unternehmer, die aufgrund des niedrigeren Lohnniveaus in Albanien Schuhe oder Textilwaren für den italienischen Markt produzieren, stellt sich allerdings die Frage, ob durch den EU-Beitritt in Zukunft Lohnkosten steigen und Wettbewerbsvorteile verloren gehen könnten.

Im Anschluss an den Aufenthalt in Shkodra folgte eine viertägige fachliche Exkursion, die in die Dinarischen Alpen, nach Montenegro und in den Kosovo führte. In Thethi, einem Bergdorf im Norden Albaniens, das circa 100 Tage im Jahr schneebedeckt ist und nur aus ein paar verstreut liegenden Steinhäusern besteht, wurde ein Projekt der Entwicklungszusammenarbeit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Deutschen Alpenvereins (DAV) vorgestellt. Um auf die Abwanderung v. a. junger Bevölkerungsgruppen aus den Bergregionen zu reagieren und Einkommensalternativen zu subsis-tenzorientierter Landwirtschaft zu schaffen, wurde ab Anfang der 2000er Jahre der Aufbau von nachhaltigem Tourismus finanziell gefördert. Dazu gehörte u. a. die Ausweisung eines knapp 200 Kilometer langen Fernwanderweges mit dem Namen Peaks of the Balkan, der durch das Hochgebirge im Dreiländereck führt. Heute kommen 90 % der Touristen aus dem Ausland. Aufgrund des durchschlagenden Erfolgs des Projekts sollen zukünftig komplementäre Projekte auf montenegrinischer, kosovarischer und mazedonischer Seite folgen.

Skanderbeg-Platz in Tirana (Foto: Tobias Weidinger)

Skanderbeg-Platz in Tirana (Foto: Tobias Weidinger)

Der Wegzug aus den „Peripherräumen“ ins Ausland, vor allem nach Italien und Griechenland (zuletzt auch USA, Kanada und Großbritannien), sowie in die großen Städte Tirana und Durrës führte dazu, dass räumliche Disparitäten zwischen den Bergregionen und den Ballungszentren an der Küste sehr stark anstiegen. Insbesondere in der Hauptstadt Tirana manifestieren sich die Folgen der anhaltenden Verstädterung mit einer jährlichen Wachstumsrate von 5 %. Diese massive Zuwanderung führte zu einer chaotischen Entwicklung, die bisher von staatlicher Seite nur wenig reguliert wurde. Konsequenzen sind Verkehrs- und Sozialinfrastrukturen, die den notwendigen Kapazitäten nicht gerecht werden, die Nutzung leer stehender Industriegebäude als Wohnraum oder ein enges räumliches Nebeneinander von landwirtschaftlicher Nutzung und illegal errichteten Wohnstandorten. Daneben entwickelt sich eine immer größer werdende Mittelschicht heraus, die ihren neu erlangten finanziellen Status durch die Präferenz für Gated Communities am Stadtrand sichtbar macht.

Abschließend wurden die zukünftigen Herausforderungen Albaniens thematisiert. Dazu gehören u. a. die weitergehende Integration des Landes in die Europäische Union, welche mit Reformen in Verwaltung, Justiz und Landwirtschaft einhergeht, die Veränderungen in der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien (große Potentiale für Wind-, Wasser- und Sonnenenergienutzung) sowie Anstrengungen seitens der Politik, Rückwanderung aus dem Ausland zu fördern. Da die genannten Herausforderungen oft beiderseits der Grenzen existieren, erscheint die grenzüberschreitende Kooperation sehr hilfreich und nützlich, um diese gemeinsam zu bewältigen. Die Initiierung der internationalen West-Balkan-Konferenz, die Ende August 2014 zum ersten Mal in Berlin stattfand, unterstreicht schließlich die politische Bedeutung dieses Themas.

Informationen zu den DAAD „Go East“-Sommer- und Winterschulen und entsprechenden Fördermöglichkeiten finden Sie auf: https://goeast.daad.de/de/

Kontakt zu den Autoren:

Tobias Weidinger (Erlangen): tobias.weidinger@fau.de
Johannes Klein (Groningen): klein.johannes@gmail.com

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert